Interview zur Ausstellung „gesehen“ 2019

Die nachfolgenden Fragen dienten als inhaltliche Orientierung für eine Ausgabe des Kennt man!“-Journals, eine Zeitschrift des Torgauer Kunst- und Kulturvereines und wurden von René Kanzler (Leiter Torgauer Schreibwerkstatt / „Kennt man!“-Journal) formuliert.

1. Biografisches – Werdegang, besondere Ausstellungen, Veranstaltungen und Projekte

Ich wurde 1987 in Sonneberg (Südthüringen) geboren in bin in dieser Region aufgewachsen. Zum Studium zog es mich nach Erfurt, der Stadt, in der ich ein Bachelorstudium in Kunst und Philosophie und ein Masterstudium in Philosophie mit dem Schwerpunkt auf Wahrnehmungstheorie und Ästhetik absolvierte. Auch lernte ich hier meine Frau kennen. Schon während des Bachelorstudiums versuchte ich, eine regelmäßige Ausstellungstätigkeit zu entwickeln, sodass ich nach dem Masterstudium den Schritt in die Selbstständigkeit als Bildender Künstler wagte und auch heute noch froh darüber bin, mich getraut zu haben, diesen Weg zu gehen. Als Musiker habe ich ein mir wichtig gewordenes zweites Standbein gefunden. In den letzten Jahren habe ich mich auch der Vermittlung zugewandt und leite Kunstprojekte mit Kindern oder Erwachsenen und hatte Lehraufträge im Fachbereich Kunst an der Universität Erfurt.

Meine künstlerische Entwicklung hat seit meinem Studium mehrere Wenden vorzuweisen und ich habe erst langsam das Gefühl, einen roten Faden zu entdecken. Das liegt eventuell daran, dass ich im Studium viele für mich neue Denkweisen spannend fand und diese irgendwie verarbeiten musste. Meine ersten Ausstellungen zeigten sehr narrative figürliche Malerei, angelehnt an den Surrealismus und die neue Leipziger Schule. Beispielhaft für diese Zeit ist meine erste Ausstellung „La mauvaise foi“ voller Psychologismen gewesen. Doch im Laufe meines Studiums fiel mein Fokus zunehmend auf abstraktere Probleme und auf das verwendete Material selbst, sodass ich diese symbolische Ausdrucksweise zugunsten informeller und konkreter Ausdrucksformen hinter mich lies. Mit abstrakten, konkreten und konzeptionellen Kunstausrichtungen beschäftigte ich mich dann schließlich auch in meinem Philosophiestudium. Dementsprechend konkret und konzeptionell muteten die Ausstellungen in diesen Jahren an, so zum Beispiel die Schau „Akzidenz²“.

Nach dem Studium merkte ich jedoch, dass mir in den minimalistisch-abstrakten Ausdrucksformen, auch wenn ich sie nach wie vor als Betrachter sehr spannend finde, als Maler etwas fehlte. So gab es mehrere Anläufe gegenständliche Malerei und die konzeptionelle Verwendung von unterschiedlichen Materialien (wie Bitumen oder Zucker) zu verbinden. Jedoch entsprach mir diese neuaufgekommene Symbolik wenig und die Ergebnisse blieben eine Zeit lang versuchshaft. Schließlich war es ein Todesfall in der Familie, der meinen Blick auf das Sujet Portrait richtete, welches mich bereits 5 Jahre als wiederkehrendes Thema begleitet. Der Blick eines Menschen, der uns gegenübersteht und uns ansieht, bedarf weder Symbolismen oder andere narrative Zusätze, sondern ist auf eine rätselhafte Weise erzählerisch genug. Als Maler kann ich mich in den Farbtönen regelrecht verlieren, die davon zeugen, dass unter der Haut Leben steckt. Auch wenn in den meisten Portraits der naturalistische Gestus eine große Rolle spielt, so habe ich doch aus meinen minimalistischen und konkreten Phasen einiges erhalten. Die Porträtierten sind keine Sinnbilder und stehen für nichts, außer ihrer individuellen Lebendigkeit und der Vielschichtigkeit des Blickes. Die Kompositionen sind meist minimalistisch streng, sodass die Personen dem Betrachter schlichtweg gegenüberstehen und ansehen. Fotografie spielt seitdem zunehmend als Hilfsmittel und als Thema in der Malerei eine Rolle. Fotoalben wurden zu Fundgruben und die visuellen Eindrücke zerknitterter Passbilder oder colorierter Schwarz-Weißfotografien in Malerei übersetzt. Exemplarische Ausstellungen aus dieser Zeit sind „Rückwärts durch den Spiegel“ und „Konnex“.

Die einfache Freude am Sehen und Malen entdeckte ich durch dieses Arbeiten wieder und mein Interesse wuchs über das Thema Portrait hinaus. Seit gut drei Jahren dient mir zunehmend der Topos Landschaft als Spielplatz, um beispielsweise wahrnehmungstheoretische Aspekte malerisch zu bearbeiten. Wie beeinflusst Nebel die räumliche Wahrnehmung eines Ortes? Wie verändert sich der Eindruck einer Landschaft, wenn ich aus dem fahrenden Zug sehe?

2. Auf was dürfen wir uns zu Ihrer Ausstellung freuen? Was wird präsentiert? Wie ist der Titel der Ausstellung? Wie hängt der Titel der Ausstellung mit den Exponaten zusammen?

Die Ausstellung soll den Namen „Gesehen“ tragen. Natürlich ist es ein sehr weiter Begriff für eine Ausstellung, in der hauptsächlich Malerei gezeigt wird, aber er ist dennoch bezeichnend und deutet in vielerlei Hinsicht auf die Aspekte hin, die mir bei den gezeigten Arbeiten wichtig ist. So werde ich beispielsweise eine Auswahl der beschriebenen Portraits zeigen und der Ausstellungstitel unterstreicht gleichermaßen den Fokus auf den Blick der Modelle, wie auch den Sachverhalt des Gegenüberstehens – des gegenseitigen Sehens. Außerdem möchte ich Bilder zeigen, die das Sehen selbst thematisieren und von einer gewissen Haltung zeugen, mit der man Orte oder Dinge Aufmerksamkeit schenken kann. „Gesehen“ verweist darauf, dass es um Motive geht, die erblickt wurden. D.h. dem künstlerischen Prozess geht nicht die Introspektion voraus, sondern ein offenes Durch-die-Welt-Gehen und ein Gewahr-Sein für das nächste Motiv. Habe ich eines gefunden, dann spende ich ihm soviel Aufmerksamkeit wie möglich und versuche seinen Anblick zu durchdringen und in Malerei zu übersetzen. Indem ich meinen Fokus zunächst nicht auf einen bestimmten künstlerischen Gestus, auf eine Idee oder ein Konzept, sondern schlicht auf meine Wahrnehmung lege, eröffnen sich während des Prozesses dennoch ganz spannende Einblicke.

3. Wieso sind Ausstellungen in Galerien von Bedeutung? Und für wen sind sie von Bedeutung (für Sie, für Besucher usw.)?

Für mich und meine Arbeit spielen sie eine sehr wichtige Rolle. Natürlich brauchen Kunstwerke die Möglichkeit gesehen zu werden und sie brauchen Orte, wo sie gesehen werden können. Aber müssen diese Orte Galerien sein? Für viele Formen der Kunst sicher nicht. Ein großer Teil der zeitgenössischen Kunst ist in anderen öffentlichen Räumen sinnvoller platziert. Aber wenn ich diese Frage ganz persönlich in Hinsicht auf meine Art der Malerei beantworte, dann bin ich sehr angewiesen auf Räume, die die Atmosphäre einer Galerie oder eines Museums besitzen (Auch wenn es sich letztlich um eine Scheune oder um eine alte Fabrik handelt). Denn an solchen Orten bewegt man sich anderes und man nimmt anders wahr. Man tritt mit einer anderen Haltung den Exponaten gegenüber. Meine Bilder brauchen eine gewisse Ruhe und eine Bereitschaft, sich auf sie einzulassen, damit man nicht auf der Oberfläche stecken bleibt, sondern sich auf das Bild einstimmt und die tieferliegenden Befindlichkeiten im Zusammenspiel von Motiv und Malerei entdeckt. Kontemplation ist ein sehr wichtiger Begriff für mich und die Galerie ist ein geschützter Raum, den man betritt, um den Alltag draußen zu lassen und um das sinnliche Empfinden zu sensibilisieren. Nur so kann man meiner Meinung nach Entdeckungen machen, zu denen man einen eigenen Bezug erkennt.

4. Welche Kunstauffassung vertreten Sie? Was ist für Sie Kunst?

Wie vielleicht schon angeklungen, zeichnet sich meine Kunst eher durch Ruhe und Beobachtung aus. Ich formuliere keine Utopien, ich klage nicht an und ich protestiere nicht, aber vielleicht proklamiere ich eine bestimmte Haltung der Aufmerksamkeit, des Maßhaltens und der Bereitschaft, sich auf das Gegenüber mit Neugier einzulassen und Neues entdecken zu wollen. Auch wenn ich mich nicht als politischen Künstler sehe, so glaube ich, dass keine Kunst unpolitisch ist, und meine Arbeiten mit ihrer eigenen ästhetischen Weise in den unterschiedlichen gesellschaftlichen Wetterlagen Stellung beziehen.

Damit gebe ich jedoch kein Werturteil über andere ästhetische Vorstellungen. Ich arbeite so, wie es meiner Person entspricht, denn ich bin überzeugt, dass ein Hauptkriterium für Qualität Authentizität ist. Wenn es dem Wesen eines Künstlers entspricht, zu provozieren und er sich auf seine Weise auf eine künstlerische Auseinandersetzung einlässt, dann ist das ebenso wertvoll und wichtig. Ich male nicht etwa gegenständliche Ölgemälde auf Leinwand, weil ich von Happening, sozialer Plastik, Installation etc. nichts halten würde. Ich finde hier vieles sehr spannend und ich setze mich gerne als Rezipient oder Teilhaber damit auseinander. Ich habe mich im Studium und danach in unterschiedlichen Medien und auch performativen Ausdrucksweisen ausgetestet. Aber es waren für mich persönlich immer nur Experimente. Ich musste selbst erst erkennen, dass das, was mir entspricht, das war, was mir am meisten Freude macht und nicht das, was ich als zeitgenössisch erachtete. Die eigene Arbeit muss sich authentisch anfühlen, sonst ist sie überflüssig und bei mir dreht es sich momentan nun einmal um das sensible Beobachten und das Malen.

5. Welche Quellen der Inspiration gibt es für Sie? Was wollen Sie ausdrücken/kommunizieren?

Manchmal möchte ich ein ganz bestimmtes Motiv malen. Ich weiß die Stimmung, welches Format die Leinwand haben soll, an welchen Stellen ich die Farbe auf welche Weise aufgetragen möchte. Ich weiß, wie ich die Leinwand grundieren möchte. Manchmal muss ich mir die entsprechenden Vorlagen noch suchen, um dann Skizzen und Fotos zu machen, mit dem genauen Wissen, was ich suche. Aber ich weiß nicht warum… Wieso soll es so ein Horizont, mit solch einem Himmel und kein anderer sein? Wieso der Plattenbau mit diesen zwei Bäumen und kein anderer? Wieso möchte ich genau diesen Menschen malen? Manchmal kommen mir die Einsichten, während der Umsetzung, manchmal aber auch nicht. Ich weiß nur, dass mir Motive begegnen, denen ich mich widmen muss. Diese Motive begegnen mir mal häufiger und dann Wochen oder sogar Monate überhaupt nicht. Vielleicht bedarf es einer bestimmten inneren Verfasstheit, um für ein Motiv brennen zu können.

Im besten Fall spürt der Betrachter diese Aura des Besonderen ebenfalls, auch wenn es sich um ganz alltägliche Motive handelt.

Um herauszufinden, worauf es mir als Künstler ankommt und um es auch formulieren zu können, ist mir die Philosophie bzw. die Beschäftigung mit Phänomenologie und Ästhetik sehr hilfreich gewesen. Auch hilft hier Musik, um mich in bestimmte künstlerische Prozesse begeben zu können.

Ich möchte mich für die Möglichkeit, in Torgau auszustellen, bedanken. Ich war noch nie in dieser Stadt und freue mich sehr auf die Zeit dort. Am 4. Januar ist voraussichtlich Vernissage und ich würde mich freuen, möglichst viele Torgauer zu diesem Anlass kennen zu lernen.